Stehen Sie vor der Herausforderung, Ihr Unternehmen nach einer ISO-Norm zertifizieren zu lassen? Überlegen Sie sich vielleicht, ob es den Aufwand wert ist?
Gelegentlich verkommen ISO-Projekte zu Papiertigern, welche durch den QM-Verantwortlichen im Unternehmen geschaffen und von der Zertifizierungsstelle für genügend empfunden wurden. Das Ganze kostet Geld und am Schluss hängt man das Zertifikat an die Wand. Gross verändert oder verbessert wurde nichts. Doch das ist schade, ein enormes Potenzial bei der Entwicklung und der Verbesserung des Unternehmens geht verloren.
Wenn man sich dem Thema ISO annimmt, so sollte der Fokus primär auf der Verbesserung und der Stärkung des Unternehmens liegen. Erreicht man dieses primäre Ziel – natürlich im Rahmen der durch ISO vorgegebenen Leitplanken -, ist die Zertifizierung meist nur noch reine Formsache.
Mit folgender Systematik sollten Sie sowohl eine ISO-Zertifizierung – wir fokussieren uns in diesem Beispiel auf ISO 9001:2015 – ohne Probleme bestehen, wie auch Ihr Unternehmen in eine erfolgsversprechende Richtung weiterentwickeln können.
Mit diesen 6 Schritten wird das ISO-Projekt zum effektiven Mehrwert für das Unternehmen
Diese praxiserprobten Schritte bringen Sie ans Ziel:
- Projekt ausrichten
- Standort bestimmen
- Unternehmen ausrichten
- Unternehmen organisieren
- Optimierungen leben
- Unternehmen weiterentwickeln
1) Projekt ausrichten
Bevor Sie infolge einer Kundenanforderung nach einer ISO-Zertifizierung einfach loslegen, ist generell zu überlegen, was Sie als Unternehmen erreichen wollen. Viele dieser Themen sind Bestandteil des 1×1 des Projektmanagements.
Trägerschaft durch Schlüsselpersonen
Sorgen Sie dafür, dass das Projekt von den Schlüsselpersonen und insbesondere vom Management getragen wird – dafür ist unter Umständen etwas Überzeugungsarbeit nötig – und machen Sie der Trägerschaft mit einer passenden Dokumentation Nutzen und Tragweite bewusst.
Gute Informationsgrundlage
Hier lohnt sich ein Blick in bewährte Praktiken des Projektmanagements. Sorgen Sie auf jeden Fall für geklärte Projektziele, Inhalte, Budget und eine entsprechende Terminierung. Sehr wichtig sind die Stakeholder, insbesondere die Frage, wer wie in das Projekt einzubeziehen ist.
Ein Wort zu Projektziel und Terminierung: Ihre Strategie des Unternehmens aber auch die zu zertifizierende Norm liefert Ihnen Ziele. Mit der Norm ISO 9001 bspw. ist die Erfüllung von Kundenanforderungen ein Thema. Mögen Sie also die Qualität Ihrer Produkte im Sinne des Kunden steigern. Ziele und Termine sind zwingend miteinander abzustimmen. Ich würde zu etwas Vorsicht, wenn nicht Zurückhaltung, aufrufen. In Schritt 2 finden Sie heraus, wo es harzt bzw. harzen kann. Insofern ist es sinnvoll, wenn Sie konkrete Resultate erst nach diesem Schritt versprechen. Zwei Beispiele für die übergeordneten Projektziele: Aktualisierung und Zertifizierung des Managementsystems sowie Qualitäts- und Effizienzsteigerung durch verbesserte Zusammenarbeit.
Was ist in dem Schritt anzupacken?
- Projekt definieren mit Zweck, Zielen, Grobanforderungen, Rahmenbedingungen, Grobplanung, groben Risiken, Stakeholdern, Projektverantwortlichkeit mittels Projekt Charta
- Die Geschäftsleitung gewinnen zur Trägerschaft des Projekts und zur (unverzichtbaren) Mitarbeit
- Bei den wichtigsten Stakeholdern „anklopfen“ und Bedürfnissen und Rahmenbedingungen abklären
- Das Projekt durch das Management genehmigen lassen
2) Standort bestimmen
Mit der Standortbestimmung bringen Sie in Erfahrung, was für die Norm-Erfüllung zu verbessern ist und was das Unternehmen weiterbringen könnte bzw. wo es harzt. Damit werden Sie sich quer durch die Organisation arbeiten.
Forderungen einer Norm und Ziele der Organisation
Sowohl die Forderungen einer Norm wie auch die Ziele der Organisation finden Sie explizit formuliert, meistens dokumentiert. Diese Dinge sind leicht zu prüfen, beispielsweise mit einer Gap-Analyse, welche in Ihre Geschäftssprache übersetzt wird.
Sand im Getriebe
Der Sand im Getriebe bzw. in Ihren Prozessen ist das Potenzial zur Unternehmensentwicklung. Eine Checkliste, mit welcher Sie Punkte als «erfüllt/nicht erfüllt» abhaken, deckt dieses Potenzial nur mit viel Glück auf. Viel mehr werden Sie durch aktives Zuhören erfahren.
Unterstützen wird Sie hier:
- Interviewstruktur mit Fragen und Bewertungsrastern
- Ein Roter Faden, der sich an den Projektzielen ausrichtet
- Die Offenheit, auch einmal abseits von den vorbereiteten Fragen hinzuhören
Was ist in dem Schritt anzupacken?
- Standortbestimmung bezüglich Norm mit einer Gap-Analyse durchführen und bewerten
- Standortbestimmung zur Unternehmensentwicklung (Strategie, Prozessreife, Qualität, Effizienz, Führungskultur, Zufriedenheit) mit Blitzlichtumfragen (Stimmung der Mitarbeitenden), Interview-Leitfaden, Assessment-Bögen
- Ergebnisse und Handlungsbedarf mit dem Management besprechen
3) Unternehmen ausrichten
Aus der Standortbestimmung haben Sie gelernt, wo konkreter Handlungsbedarf besteht. Aus der Vielzahl von Hinweisen sind die wichtigsten Punkte herauszuschälen. Was wichtig und prioritär ist, messen Sie am gesetzten Projektziel und -termin.
Organisatorische Grundlagen aufarbeiten
Um nachhaltige Optimierungen zu erreichen, delegieren Sie den Handlungsbedarf an die Betroffenen, üblicherweise die Prozesseigner. Doch bevor Sie das tun, sollten ein paar Grundlagen geklärt sein:
- Strategie, Leistungen und Prozesse
- zentrale Rollen wie Prozesseigner inklusive Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung
- Vorgaben (bspw. wer was wie in welcher Granularität definiert), Hilfsmittel und Tools zur Prozesserarbeitung
Organisation informieren
Spätestens jetzt sollten Sie Ihre Belegschaft über das Vorhaben informieren. Wenn Sie die gesamte Organisation mit auf die Reise nehmen wollen, wird Ihnen eine frühzeitige und gezielte Information in die Hände spielen. Veränderung beginnt schliesslich im Kopf – und zwar im Kopf eines jeden Mitarbeitenden.
Was ist in dem Schritt anzupacken?
- Definition, Terminierung und Organisation der Massnahmen
- Information der Gesamtorganisation über die Vorhaben
- Planung der Umsetzung
- Aufarbeitung der Leitsätze, Strukturen, Hilfsmittel und Tools
4) Unternehmen organisieren
Nun geht es darum, die grossen und kleinen Details miteinander zu erarbeiten, sprich die definierten Massnahmen umzusetzen.
Betroffene zu Beteiligten machen
Delegieren Sie die Verantwortung für die Überarbeitung auf jene Köpfe, welche am Ende auch im Alltag für die Themen verantwortlich sind. Eine ideale Besetzung sind die jeweiligen Prozesseigner. Und beziehen Sie, wo nutzenstiftend und im Rahmen der zeitlichen Zielsetzung möglich, die Mitarbeitenden – sprich die Betroffenen – in die Erarbeitung mit ein. Dies erhöht das Commitment, wie Erich Lötscher in seinem Blogbeitrag „Projekt QM: 5 Erfolgsfaktoren“ bereits beschrieben hat.
Die Verantwortlichkeiten schulen
Die Verantwortlichen sind in dieser Phase Ihre Schlüsselpersonen. Sie bestimmen, wie schnell und in welcher Qualität Resultate erzielt werden und welche Arbeiten allenfalls nach dem Projekt eingeplant werden sollten. Deshalb ist nicht wegzudiskutieren, dass diese Personen befähigt werden müssen. Idealerweise führen Sie die verantwortlichen Personen an folgende Themen heran:
- Ausrichtung des Unternehmens sowie Ausrichtung, Ziele und Organisation des Projekts
- Aufgaben der Verantwortlichen
- Grundlagen zur Befähigung der Prozessdefinition inkl. Dokumentenlenkung, Methoden zur Prozessaufnahme
- Zu verwendende Methoden, Hilfsmittel und Tools
Was ist in dem Schritt anzupacken?
- Verantwortlichkeiten schulen
- Prozesse und deren Inhalte definieren und in den dafür vorgegebenen Hilfsmitteln (Vorlagen für Checklisten, Prozessabläufe und Tool/Portal zur Prozessdokumentation) dokumentieren
- Laufende Unterstützung der Arbeiten bei Fragen und Problemen (insbesondere Schnittstellenprobleme) durch eine zentral definierte Stelle
- Beschlossene und dokumentierte Prozessinhalte durch die verschiedenen Stakeholder prüfen lassen bzw. mit diesen absprechen
- Beschlüsse mit der Norm durch eine interne Dokumentenprüfung validieren
- Genehmigte Prozessinhalte schulen und umsetzen
5) Optimierung leben
Über Änderungen informieren und diese schulen
Die von Änderungen betroffenen Mitarbeitenden müssen zwingend geschult werden. Kontrovers wird diskutiert, per wann geschult und eingeführt wird: Erst bei Abschluss des Gesamtprojekts oder bereits nach der Genehmigung einzelner kleiner Teilstücke? Im Idealfall empfiehlt sich letztere Variante. Alles ist noch frisch, die Dynamik für Änderungen bei den Mitarbeitenden noch vorhanden. Drei Monate später weiss vielleicht nicht mal mehr der Prozesseigner, warum etwas wie gedacht war. Für Variante eins würde höchstens sprechen, dass ein Teilstück ohne das Gesamtsystem gar keinen Sinn ergibt, beispielsweise eine Dokumentenlenkung, welche ohne das damit verbundene Tool nicht umsetzbar ist.
Der Gesamtunternehmung werden Sie die Optimierungen ebenfalls kommunizieren und so den Erfolg teilen. Feiern Sie den Abschluss und machen Sie das Teilen positiver Erlebnisse zur Unternehmenskultur.
Die Umsetzung und den Fit überprüfen
In den ersten Monaten werden einige Fragen zur neuen Organisation auftauchen. Mit klar definierten Ansprechpersonen können diese schnell geklärt werden. Ebenso wird nicht alles Neue reibungslos ablaufen. Der bereits angesprochene Prozess zur Organisationsentwicklung ist hierfür genau der richtige. So üben Sie diesen von Beginn weg ein.
Nach einer Einarbeitungszeit sollten Sie bewusst mit Umfragen, Prozessassessments und Interviews/Audits überprüfen, ob die neue Organisation gelebt wird und ob wesentliche Themen aufgetaucht sind, die aktuell nicht zu bewältigen sind. Greifen Sie diese auf und erarbeiten Sie die Themen zeitnah mit den Betroffenen.
Was ist in dem Schritt anzupacken?
- Impulsveranstaltungen für alle mit Grundlagen zur neuen Organisation, ergänzt durch Mitteilungen über das eigene Intranet
- Prozessschulung der Betroffenen
- Internes Audit bzw. Interviews und Prozessassessments, idealerweise durch interne Schnittstellenpartner (bzw. interne Kunden)
- ISO-Audit durch die externe Stelle
6) Unternehmen weiterentwickeln
Kollektive Achtsamkeit lernen und gemeinsam besser werden
Nur wenn Sie es schaffen, als ganzes Unternehmen gemeinsam Potenzial für Veränderungen und Verbesserungen aufzudecken und diese auch ernst nehmen, werden Sie als lernende Organisation wachsen können. Dafür haben Sie sich in Schritt 3 die Organisationsentwicklung zum Thema gemacht. Je agiler Sie diesen Prozess definiert haben, desto agiler können Sie auch auf Marktbedürfnisse reagieren oder sich aufgrund des hiermit erschlossenen kollektiven Potenzials sogar einen Marktvorsprung erarbeiten. Kurz: Sie werden damit als ganze Organisation achtsam für die wichtigen Dinge des Unternehmens.
Um die Organisation auf Verbesserung zu trimmen, existieren diverse methodische Ansätze. Wenn Sie Zeit und Geld investieren, sorgen Sie dafür, dass diese nachhaltig in der Organisation verankert werden. Am Beispiel von Lean Management würden Sie nicht alle Methoden mit einem Big Bang einführen, sondern dafür sorgen, dass die Lean Philosophie zu Ihrer eigenen Kultur wird. Sie sparen damit Kosten für Kontrollen, Animationen und Tools.
Eine agile Organisationsentwicklung, welche die ganze Unternehmung einbezieht, bietet niederschwellige Hilfsmittel zur Eingabe von Herausforderungen und Ideen. Nebst einer Kultur, in welcher Probleme gleich auf Augenhöhe ausgeräumt werden können, bieten moderne Tools die Möglichkeit, Dinge effizient aufzunehmen und strukturiert abzuarbeiten. Mit Planner, PowerApps oder Yammer von Microsoft werden Ideen- und Fehlererfassung einfach mit Foto und Kommentar per Smartphone umgesetzt. Für eine sorgfältige aber auch pragmatische Verarbeitung der Inputs wird die Organisation bestens unterstützt.
Reifen mit der Digitalisierung
Von reifen Prozessen sprechen sogenannte Prozessreifegradmodelle, wenn ein Prozess nicht nur dokumentiert und gelebt wird, sondern auch permanent und basierend auf verlässlichen Informationen weiterentwickelt wird.
Ihr Unternehmen produziert täglich eine Vielzahl von Informationen, welche eine Aussage über den Zustand ihrer Prozesse zulassen. Hier ist nicht nur an Transaktionsdaten von automatisierten Prozessen zu denken sondern auch an Rückmeldungen von Mitarbeitenden, Kunden, Lieferanten und Vorgesetzten. Die Methoden zur Erfassung solcher Informationen ist schier unendlich.
Ihr Set an Transaktionsdaten erweitern Sie automatisch, wenn Sie Effizienzsteigerungen mittels der Digitalisierung oder gar eine Automatisierung von Prozessen umsetzen. Zu bemerken ist hier, dass die Einstiegskosten in beide Themen rasant gesunken sind: Der Einsatz von SharePoint bzw. Office 365 ist für die meisten Unternehmen selbstverständlich. Eine SharePoint-Liste für das Fehlermanagement erleichtert nicht nur die Erfassung von Fehlern, sondern lässt Sie auch laufend Statistiken über Herkunft, Kosten und Nutzen von Fehlern machen. Office 365 lässt Sie mittels Microsoft Flow auch gleich Prozesse automatisieren. Professionellere Tools wie Nintex bieten Ihnen auch gleich erweiterte Auswertungsmöglichkeiten.
Was ist in dem Schritt anzupacken?
- Empfehlungen prüfen und allenfalls zusammen mit Abweichungen umsetzen
- Laufende Überwachung und Verbesserung von Strategie sowie operativen Prozessen unter Berücksichtigung von Ideen, Reklamationen und Fehlermeldungen mittels Strategieworkshops, internen Audits, Assessments und Interviews
- Verbesserungskultur und -prozesse laufend überprüfen und optimieren
Empfohlene Literatur
- Einführung in Projektgrundlagen: PMBOK Guide des Project Management Institute
- Übersicht an Methoden zur Definition, Analyse und Optimierung von Prozessen sowie einer kleinen Struktur für eine BPM-Projekt: Geschäftsprozessmanagement in der Praxis, Schmelzer, Sesselmann
Sehr guter Beitrag! Ich denke, es ist für Unternehmen immer wichtiger Dinge wie ein EFQM Assessment durchzuführen und einfach immer wieder zu checken, wo die Stärken und Schwächen sind, sodass Organisationsoptimierung stattfinden kann.